Am Nachbartisch des spätnachmittaglichen Biergartens wogt eine erregte Diskussion über die vorsätzliche Abschaltung der Atomkraftwerke durch die Grünen.
*Seufz!*
Eigentlich wollte ich mir als akuter Rhabarberholiker ja nur in Ruhe eine Rhabarberschorle hinter die Binde kippen, uneigentlich wurde ich auch hier mal wieder nicht gefragt ob ich Ohrenzeuge sein will oder nicht. Zudem schob der Redner das Wort „vorsätzliche“ mit der anklagendem Verve eines Staatsanwaltes dermaßen über die Zahnleiste des unter dem zitternd erhobenen Zeigefinger kämpferisch vorgereckten Kinns bedeutungsheischend in den Ätherraum über der an seinen Lippen hängenden Tischrunde, dass ein Weghören im Großraum Süddeutschland und den angrenzenden Regionen schlechterdings auch unmöglich gewesen wäre. Hört, Hört: hier spricht einer mit der Sicherheit desjenigen, der über internes, nicht jedem, zumindest nicht jedem ohne Telegramaccount zugängliches Wissen verfügt. Die anderen hatten offensichtlich nicht diesen Zugang und so wendeten sich alle Blicke fragend auf ihn. Man könne sie ja abschalten, führte er durchaus gönnerhaft aus, wenn, ja wenn es denn sichere Alternativen gäbe, gab er sich expertenhaft. Allein diese Alternativen gäbe es halt nicht: Die Solarflächen reflektieren bekanntlich die Sonne, was zur massiven Erderwärmung beitrüge und die Windkraftanlagen erst… Er schaute betrübt in die großen Augen der am Cliffhanger baumelnden Runde. Naja, die Windkraftanlagen erst… , aber das wisse man ja schon. Die Augen seiner Nachbarn offenbarten, dass man es vielleicht wisse, sie aber nicht, es aber jetzt unbedingt wissen wollten. Er beugte sich verschwörerisch nach vorn und sagte nur:

I N F R A S C H A L L

Dabei setzte er dieses eine Wort mit der hochkonzentrierten Umsicht eines Kampfmittelexperten behutsam auf die von seinen Gesten freigeräumte Stammtischmitte, um raunend den Nichteingeweihten das Ungewusste, ja Unerhörte aufzudecken: Infraschall frikassiere, Chop-Chop, die seltensten Vögel bereits im Anflug auf die Windkraftanlage und verursache Krebs! Einer spontanen Rauchgasverpuffung gleich ergriff empörtes Erschrecken die Runde, wie die Regierung so etwas zulassen könne. Dabei schauten sie ins Nichts ihrer Stammtischmitte und ihres Verstandes, wo eben noch der Infraschall waberte und nun mit dem offensichtlich letzten Rest von Bildung in der spätsommerlichen Abendhitze unter wüstem Durcheinandergerede von allen völlig unbemerkt verdampfte.

Ok, soviel Biergarten-Stammtisch hielt dann auch ich, als alter Geschichtensammler und Charaktergouteur bei allem Amüsement nicht aus und beschloss mein geistiges Heil, die Rharbarberschorle stehenlassend, in der Flucht zu suchen.

Die zum Text passende Karte in Bleisatz habe ich vor langem gesetzt und ist hier zu bekommen:
https://cartoons.guido-kuehn.de/produkt/atomkrieg/