
Es ist Wunschdenken, Demokratie sei umsonst zu haben – gar ein Lieferservice. Doch sie verlangt mehr als bloße Existenz. Sie braucht aktive Teilhabe, sie setzt Arbeit voraus, die Einsicht, dass Egoismen sich dem Gemeinwohl unterordnen, den Willen zum konstruktiven Austausch. Vor allem aber braucht sie eine gemeinsame Grundlage: ein geteiltes Verständnis von Wahrheit. Ohne diese Grundlage zerfällt jede öffentliche Debatte in eine bloße Ansammlung von Meinungen, bei der die Lautstärke mehr zählt als die Begründung. Genau hier beginnt die Gefahr: Wenn Blogs wie NIUS, die sich durch gezielte Verzerrung, Hass und Lüge profilieren, als Journalismus gehandelt werden, statt als das, was sie sind – zu ächten –, dann wird Wahrheit zur Ware degradiert: beliebig, austauschbar, verhandelbar und, das nötige Kleingeld vorausgesetzt, setzbar – eben durch die Reichsten und Wohlhabendsten.
Doch auch in den etablierten Medien ist das Problem allgegenwärtig: das opportunistische Ausblenden, das ungeprüfte Übernehmen fremder Narrative, das falsche Gewichten und das risikofreie Weitertragen von Desinformation. All das schwächt die öffentliche Sphäre, weil es die Grenze zwischen sorgfältiger Recherche und bloßer Propaganda verwischt – wenn nicht gleich die Lüge selbst zur Nachricht erhoben wird. Davon machen nicht nur die BILD, sondern inzwischen zahlreiche Medien Gebrauch, die sich selbst als bürgerlich-konservativ verstehen. Beispiele dafür sind die Heizhammerkampagne, die Demontage der Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht und vieles andere mehr. Sie legen ein beredtes Zeugnis ab. So wird das Vertrauen in die demokratische Öffentlichkeit – und damit diese selbst – ausgehöhlt.
Wir dürfen uns dabei keiner Illusion hingeben: Demokratie stirbt nicht plötzlich. Sie erodiert langsam. Das geschieht, wenn wir zulassen, dass Lüge, Halbwahrheit und Manipulation zur akzeptierten Praxis werden. Genau das ist der Fall, da es juristisch nahezu ungeahndet und gesellschaftlich kaum geächtet ist, sich nicht an elementare Standards zu halten. Sicher: Die Kontrolle der Presse ist ein zweischneidiges, extrem heikles Schwert. Aber wer sich der Verbundenheit zur Wahrheit zugunsten der Konstruktion von „Wahrheit“ verweigert, entzieht der Demokratie ebenso den Boden, wie wenn er ihr die freie Presse selbst nimmt. Hier braucht es dringend Diskurs und Lösungshandeln. Denn wenn jede Tatsachendarlegung nur noch als Meinung gilt und jede Meinung wie eine Tatsache gehandelt wird, verliert die Gesellschaft ihre Orientierung. Sie wird zum Spielball der Meinungen, versinkt in kollektiver Angst und endet im Faschismus.
Ein freier Diskurs lebt nicht von schrankenloser Beliebigkeit, sondern von der gemeinsamen Verpflichtung auf Wahrheit. Diese Wahrheit ist nie einfach. Sie muss mühsam erarbeitet, geprüft, belegt und verteidigt werden. Ohne sie gibt es keinen demokratischen Streit, sondern nur ein Geschrei von Partikularinteressen.
Deshalb gilt es, klare Maßstäbe einzufordern: Journalismus, der sich ernst nimmt, muss Unbequemes ans Licht bringen, muss unterscheiden zwischen belegt und unbelegt, muss die Grenze zwischen Meinung und Tatsache ziehen – und zugleich einordnen. Bürgerinnen und Bürger, die ihre Demokratie ernst nehmen, dürfen sich nicht mit Schlagzeilen abspeisen lassen. Sie müssen auf Belege, auf Recherche, auf Seriosität bestehen.
Wahrheit ist kein Luxusgut, sondern die Grundbedingung demokratischen Zusammenlebens. Sie ist das gemeinsame Band, ohne das keine Verständigung, kein Kompromiss und kein Fortschritt möglich sind. Eine Gesellschaft, die ihr geteiltes Konzept von Wahrheit preisgibt, zerstört ihr eigenes Fundament.