Gestern erreichten mich die Überreste einer Schuldruckerei. Diese wurde im Zuge der Digitalisierung endlich aufgelöst, was mich freut und die Schuldidaktik meiner Meinung nach deutlich ärmer zurücklässt. Der Mensch lernt am Anfang analog haptisch (begreifen) und durch Erfahrung als unmittelbaren physischen Eindruck. Beides kann das Digitale nicht oder nur schwer bieten.

Mit den Folgen des Aufwachsens vor dem ständig endorphinkickenden Gesichtssolarium haben wir inzwischen auch an den Hochschulen zu kämpfen: Studierende tun sich schwer damit, selbst Dinge zu entwickeln, auszuprobieren und auch mal zu verwerfen. Wir müssen ihnen die Lust am Entwerfen, die Lust, die Welt zu berühren und zu verändern, wieder näher bringen. Entwerfen bedeutet in dieser Generation unter Zwang genau 1 Idee zu haben und diese umzusetzen. Wenn man ihnen keine Impulse gibt, sind sie scheinbar antriebslos. Dies ist kein Generationenbashing nur die Beobachtung, dass es derzeit ein langer Weg ist, bis sie dann endlich belastbar recherchieren, von neugierig lustvoll und intrinsisch will ich gar nicht erst anfangen, ausreichend Kriterien bilden, Ideen (Plural!) sprudeln lassen und aus deren Vielzahl(!) iterativ die entlang der Kriterien bestdenkbare Lösung herausschälen und in Folge umsetzen. Entwerfen ist aber die Kunst, so lange lustvoll zu scheitern, bis es passt. Entwerfen bedeutet, Varianten zu bilden und zu verwerfen, Lösungsfolgen weit vor der Umsetzung zu antizipieren, vorerst nichts als gegeben hinzunehmen und daher alles kritisch zu hinterfragen. Und da hilft es dem Menschen, wenn er genau das gelernt hat, bevor er die digitale Welt erobert. Es ist eine Frage der Phantasie, also der Vorstellungs- und Projektionskraft. Diese wird in der analogen Welt zwangsläufig ungleich mehr geschult und entwickelt als in der digitalen Berieselung mit vorproduzierten intellektuellen Convenience-Häppchen. Möglicherweise aber auch durch die Vielzahl der Eindrücke im analogen, auch solcher, die die primär auf Kognition und Sehsinn reduzierten digitalen Welten nicht bedienen. Oder, und das ist meine Vermutung, durch die ständige intellektuelle Anregung, die das Fehlen von Angeboten und Perfektion bei gleichzeitiger ständiger Korrektur durch die physische Welt mit sich bringt, die einen gestaltungswilligen Geist fast automatisch auf den Weg zu Lösungen schickt. Digitale Welten erscheinen hier meist schon blickdicht, ja perfekt, bevor man sich überhaupt auf den Weg macht, etwas zu lösen. Warum sollte sich ein Geist also überhaupt auf den Weg machen? Und wenn man sich aufmacht, stößt man in der Regel auf unbegrenzte Leben in einer relativen Physik, es erscheint so risikolos, am Ende heißt Entwerfen im Digitalen daher oft nur noch blickdicht machen. Zumindest die rein digital sozialisierte Generation, die ich jetzt vor mir habe, reagiert in der Summe mit Unverständnis auf die Aufforderung, Dinge zu entwerfen und ihre Beschäftigung mit welcher Materie auch immer im Kern als Handwerk zu begreifen und auszuführen, bevor man anfängt, dessen Regeln zu brechen. Dazu muss man sie heute erst mal bringen, wo man sie früher erstmal ausbremsen musste um sich die dem Entwerfen notwendigen Gewerke anzueignen, um zu verstehen, welche Regeln man bricht, wenn man sie bricht.

Bevor jetzt jemand einen maximal digitalfernen, retroromantisch-technologiefeindlichen Boomer vor sich zu haben argwöhnt–Nope: The Kids are allright und dies kommt von einem Professor für ein Feld der Informatik, das kaum ein digitaler Synapsenfasching sein könnte, des Gamedesign vor dem Hintergrund seiner Hochschul-Lehrerfahrung im Entwurfshandeln seit 1992.

Mein Fazit: Irgendjemand muss die Dinge, die uns umgeben, gestalten und meine bisherigen Erfahrungen zeigen mir, dass die Waldkindergartentypen darin besser und widerstandsfähiger sind. Es wäre meines Erachtens lohnenswert zu untersuchen, ob eine digitale Abstinenz in Kindheit und Jugend die Menschen nicht resilienter und souveräner für das Überleben in und Meistern von digitalen Welten macht.

1 thought on “Schuldruckereigedanken

  1. Das können wir in 16 Jahren in Australien prüfen. Ich habe gestern innerlich gefeiert, als ich die Nachricht zum Verbot von sozialen Medien für Jugendliche in Australien erfuhr. Lastwagenweise wird zumeist größter Mist in die Hirne gekippt und die Welt außenherum mit all Ihren Facetten und Möglichkeiten gar nicht mehr wahrgenommen.

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