1960. Die Teilerin 201 legt in Dresden bei der Schriftgießerei VEB Typoart ein Minimum der Pergamon in der Werksspezifikation 3.3a, also mager und in der winzigen Schriftgröße 6p, auf den Packtisch, bindet es mit einer besonders stabilen, metallverstärkten Kolumnenschnur aus und wickelt das fragile Arrangement zum Schutz der Druckbilder zunächst geschickt in weiches Volumenpapier ein und legt einen Kontrollzettel mit Schriftnummer, Schriftgröße, den Personalnummern des Gießers und ihrer selbst bei. Dann schlägt sie es routiniert in festes Packpapier ein. Abschließend versieht sie das Paket mit dem Papiersiegel der Gießerei und einigen Stempeln und zusätzlichen Hinweisen, etwa dem Paketgewicht.

2024. Das Päckchen hat ungeöffnet und unversehrt den Untergang des Bleisatzes und der DDR überstanden, gelangte über Umwege zu einer Hamburger Buchbinderei, wo es wiederum in einer Schublade vergessen wurde, landete schließlich durch eine glückliche Fügung bei mir, um die nach über einem halben Jahrhundert noch jungfräulichen Typen endlich ihrer Bestimmung zu übergeben und zu drucken (auch wenn es mich wirklich viel Überwindung kostet, so eine Zeitkapsel unwiederbringlich zu öffnen). 

Fachbegriffe

Minimum bezeichnet bei Schriften die kleinste Menge eines kompletten Schriftsatzes, die von einer Gießerei bezogen werden kann. Es ist die nach Buchstabenhäufigkeit zusammengestellte Menge zum Setzen kleinerer Texte.

Teilerin war ein Beruf, der fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wurde und daher auch weiblich benannt wurde. Teilerinnen stellten die Schriften versandfertig zusammen. Eine Facharbeit, die Präzision, Fingerspitzengefühl und Schnelligkeit erforderte und für die sich Männer in der Regel als ungeeignet erwiesen. 

Gießer ist die Bezeichnung für den Bediener der halbautomatischen Schriftgießmaschinen. Eine gefährliche, weil monotone Arbeit, bei der Unachtsamkeit mit unter hohem Druck austretender Schriftbleilegierung bestraft wurde und zu schweren Verletzungen führte. 

VEB Typoart war der staatliche Zusammenschluss und die Verlagerung aller nach dem Krieg auf dem Gebiet der DDR verbliebenen Schriftgießereien nach Dresden. Im Gegensatz zu den Gießereien im Westen entwickelte Typoart nur wenige Schriften neu, sondern goss vor allem die Schriften aus der Vorkriegszeit weiter – wie hier die Pergamon von 1932 bei Ludwig & Wagner, Leipzig, und daher nach dem Krieg zum VEB Typoart überführt.

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